Produkt der Woche: Mit Vorsicht zu genießen. Die neuen Lügen der Lebensmittelindustrie

mit-vorsicht-zu-geniessen_sabersky_zittlau

Foto: Randomhouse

Diese Woche gibt es einmal kein Bio-Lebensmittel im Test. Wir möchten Ihnen stattdessen eine Kostprobe des neuen Buches von Annette Sabersky und Jörg Zittlau geben. Lesen Sie mal rein in unsere

Vorspeise

Wir verhehlen nicht, dass wir eine gewisse Sympathie für ihn hegen: für Michael Pollan, Professor für Journalistik an der Universität of California in Berkeley und einer der größten Nahrungsmittelkritiker in den USA. Er sagt so simple Dinge wie: „Essen Sie echte Lebensmittel statt weiter verarbeitete Nahrungsmittelprodukte. Nichts mit unaussprechlichen Zusatzstoffen oder mehr als fünf Zutaten.“ Das klingt natürlich ein wenig rückschrittlich in Zeiten übervoller Regale im Supermarkt und Discounter, ganzer Batterien an Tütensuppen und Fixprodukten, Müslis, Fruchtjoghurts mit Knicksecke und Kunststoffschälchen mit geschnippeltem Salat oder, alternativ, mit Currywurst. Sie alle rufen: „Kauf mich, ich bin lecker, gesund und billig.“

Aber es ist ein handfester Tipp. Und er zeigt: Pollan ist kein rückwärtsgewandter Meckerer, er blickt nach vorn. Er informiert, deckt auf und plädiert dafür, sich nicht für dumm verkaufen zu lassen. Als taz-Redakteur Peter Unfried ihn in einem Interview mit einer Aussage der SPD konfrontierte, die da lautet: „Die Currywurst ist das ehrliche Essen für ehrliche Leute – wie früher“, da antwortet er erst einmal bedächtig und sagt: „Na ja“. Dann erläutert er: die Wurst sehe zwar aus wie früher, aber sie sei eben nicht mehr wie früher. Sie komme von Tieren, die anders gehalten werden, die anders essen und die mit Antibiotika vollgestopft werden. Doch diese Dinge seien für die Konsumentinnen und Konsumenten nicht sichtbar. Die Currywurst sei ein ideales Beispiel für die Strategie der Industrie: „Man kann verstecken, was man wirklich macht. Keiner sieht es der Wurst an.“ Und auch der Politik, könnte man ergänzen.

Dass uns heute jede Menge Lebensmittel verkauft werden, die nach außen hin gesund, clean und lecker aussehen, nach innen aber Pfui sind, dabei hilft auch die Werbung. Sie garniert die Wurst und all die anderen Lebensmittel mit tollen Versprechen, mit Natur pur, Gesundheit satt und wunderbarem Geschmack. Die Kinderwurst wird gesund durch einen Zusatz an Kalzium und Vitamin C – angeblich. Auf dem Joghurtbecher steht, er sei nur „mit natürlichen Aromen“ versehen, das Frühstücksei und wahlweise auch das Brot seien herzgesund durch Omega-drei Fettsäuren.

Free-from-Lebensmittel nicht ohne

Zugleich werden diese Produkte dreist in den Markt gedrückt. Nehmen wir die glutenfreien Lebensmittel. Der Markt boomt. Der Jahresumsatz 2013 liegt schon bei 60 Millionen Euro. Gekauft werden die Diätprodukte nicht etwa nur von Menschen, die unter Zöliakie leiden. Das ist etwa einer von etwa 500 Bürgern. Sie vertragen das Gluten (den Kleber) aus einigen Getreidearten wie z.B. Weizen nicht und müssen es gänzlich meiden. Doch glutenfreie Lebensmittel wie Kuchen, Brot und Brötchen, Nudeln und Knabberkram landen heute weniger in ihrem Einkaufskorb als in dem von Menschen, die diffuse Verdauungsbeschwerden haben. Jene also, die nach dem Essen Bauchschmerzen bekommen und meinen, es liege am Weizentoast oder an den Nudeln. Dass nicht unbedingt das Toast oder die Nudeln schuld sind, wissen auch die Firmen, z.B. Nestlé. Das schweizerische Unternehmen schreibt in der „Lebensmittelzeitung“ (LZ): „Viele Konsumenten, die glutenfreie Produkte kaufen, haben keine Glutenunverträglichkeit, verzichten aber bewusst darauf, da sie sich damit besser fühlen.“ Das passende Produkt bietet das Unternehmen auch gleich mit an: GlutenFree Corn Flakes. In der LZ werden sie als echte Innovation gefeiert („Neu“, „Trendbewusst“). Dabei ist Mais – das Getreide, aus dem Flakes hergestellt werden – von Natur aus glutenfrei. Das war immer schon so und wird auch so bleiben.

Doch Verbraucher müssen dem nicht hilflos zusehen. Sie können etwas tun. Erst einmal: sich informieren. Und dabei hilft dieses Buch. Es entlarvt die aktuellen Lügen der Lebensmittelindustrie, seien es die von Nestlé, Mars und Unilever. Es beleuchtet aber auch das Treiben der Bio-Branche und ihrer Bio-Fix-Produkte, die oft besser, aber auch nicht immer das Gelbe vom Ei sind. Hinzu kommen so genannte Regional-Produkte. Neben immer neuen Gesundprodukten machen Bio und Regional schon rund zehn Prozent der Lebensmittel im Regal aus. Auch hier lohnt der Blick hinter die Kulissen.

Und schließlich mischt sich dieses Buch auch in die aktuelle Diskussion unserer Nährstoffe ein. Denn die Frage, `Sind Kohlenhydrate ungesund? Und: ´Sollte man auf Eiweiß oder Fett setzen? ´, ist noch nicht beantwortet. Und auch die Frage, welche Ernährungsform tatsächlich die gesündeste ist, ´vegan, vegetarisch oder wie gehabt? ´, wird von uns ausgiebig diskutiert.

Dabei sind wir nicht mit festem Ergebnis an die Recherchen gegangen. Dazu ist das Angebot viel zu bunt und groß – und auch neue Produkte haben ihre Berechtigung. Das objektive Herangehen hat den schönen Vorteil, dass man auf Überraschendes stößt. So wird immer wieder behauptet, dass heutige Obst und Gemüse sei vitaminarm und darum nötig, Säfte und Wurst mit Vitaminen anzureichern. Tatsache ist aber, dass unser Grünzeug noch nie so vor Vitaminen und Mineralstoffen strotzte wie heute. Das liegt daran, dass sie durch Düngemittel mit Mineralien und Vitaminen versorgt werden, die auch jeder Mensch braucht. Zudem wurden die Transportzeiten durch verbesserte Logistik verkürzt.

Damit wollen wir weder dem leicht löslichen, umweltschädlichen Mineraliendünger noch dem Lebensmitteltourismus das Wort reichen. Das Beispiel zeigt aber, dass es gut ist, sich dem Essen und Trinken unvoreingenommen zu nähern. Wir sehen also weder im Frühstücksei noch in der Bratwurst das Gute oder Böse an und für sich, sondern Lebensmittel, die sich im Laufe ihrer langen Geschichte den Anspruch verdient haben, dass man fair mit ihnen umgeht und die tatsächlichen Vor- und Nachteile zu ermitteln versucht. Wir haben also nichts gegen die Currywurst aus Biofleisch vom Demeter- oder Biolandhof mit Bio-Curry, wohl aber gegen die Industriewurst aus Schlachtabfällen, die mit Ketchup und Curry zugekleistert wird.

Mit Rat zur Tat

Dazu gehört aber auch, mit den Erkenntnissen zu leben – und sie im Alltag umzusetzen. Darum haben wir vielen Kapiteln konkrete Ratschläge nachgestellt, die helfen sollen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Einen weiteren Rat Pollans wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Er sagt: „Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte.“ Was hätte die alte Dame wohl gesagt, wenn sie in den Plastikbecher mit der Fünf-Minuten-Terrine hineingeschaut und dort nichts außer ein paar Krümel gefunden hätte?

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen und guten Appetit!

 

Das ganze Buch gibt´s hier: Mit Vorsicht zu genießen. Die neuen Lügen der Lebensmittelindustrie. Von Annette Sabersky und Jörg Zittlau, Heyne Verlag, München im Mai 2015.

Natürlich vergeben wir diesmal keine Bio-Food-Tester-Bewertung. Aber vielleicht schreiben Sie eine Rezension oder sagen uns, was Ihnen zum Thema Lebensmittel-Lügen einfällt? Wir sind gespannt!

 

Logo Bio-Food-Tester